Großstadtverse in Bildern – alles andante

Peter Rensch sagt von sich, er sei ein langsamer Arbeiter. Alles, was Peter Rensch macht, geht er langsam an. Zeitdruck, Hektik, Masse vertragen sich nicht mit Kreativität. Man hat eine Idee, zeichnet, probiert, sucht und versucht, verwirft wieder, das braucht Zeit.  Er versteht sich als Handwerker alten Schlags: vom Kopf in die Hand. In seinen Selbstzeugnissen beschreibt er den haptischen Genuss im Umgang mit Papier, Farbe und Lettern sowie die damit verbundenen Gerüche.

Andante steht auch für den Inhalt. Es sind immer kurze Texte, die mehrmaliges wieder Zurücklesen verlangen.  Die Bilder stehen für sich, aber auch in Beziehung zum Text. Innehalten und Betrachten, nicht schnelles Lesen, werden verlangt.

Bücher mit Bildern, mit Graphik, das bedeutet zusätzliche Komplexität. Das Bild in Beziehung zum Text, Schrift und Schriftspiegel sind wiederum eine bildliche Anordnung, hinzu kommen Papier, Bindung, Vorsätze usw. Alles muss eine stimmige Einheit bilden, damit wir es als schönes Buch begreifen.; „das Buch zum Bild machen,“ schreibt Peter Rensch dazu (Katalog Wendland).

Vor dem Büchermachen stehen aber noch die Graphiken. Die Entwurfszeichnung wird seitenverkehrt auf Holz- oder Linolplatte übertragen.  Als Kind wollte er Tischler werden. Von daher vielleicht die Affinität zur Bearbeitung von Holz und, bei ähnlicher Bearbeitungstechnik, von Linol. Chemiker habe er nicht werden wollen, sagt er von sich, und die Geräusche der Metallbearbeitung behagen ihm nicht. Die Arbeit mit Stechbeitel und Linolmesser erlaubt die Kontrolle vom Kopf über die Hand; bei Radierplatte oder Lithostein muss man das Ergebnis der chemischen Reaktionen abwarten, in die erst einmal kein Eingreifen möglich ist.

Wie jemand zu dem geworden ist, was er ist – diese Frage interessiert immer. Dass er etwas geworden ist, zeigen seine Bilder. Er hat seinen – unverwechselbaren – Stil gefunden. Feste Konturen, das Kolorit flächig.  Die Frauen oft mit Hüten, großen Augen, großen Nasen, langes Haar meist.  Die Männer, oft mit Hut und elegant gekleidet, aber auch Typen aus der Halbwelt gibt es. Die Figuren blicken meist ins Leere. Sie sind nicht auf Dialog angelegt. Die Landschaften mit Meer zeigen in horizontalen Abfolgen die Streifen von Land und Sand, Wasser und Himmel.

In der Regel ist es Lyrik, die Peter Rensch mit Bildern versieht. Das Spektrum der Verse reicht von elegisch bis komisch. Expressionismus und Dada und drum herum gefallen ihm. Es sind eher die vergessenen, nicht so bekannten Dichter. Dazu gehören auch die Gedichte von Schwitters und Grosz, die ihren Namen in erster Linie der Bildenden Kunst verdanken. Belehrende oder intellektuell angelegte Texte liegen ihm nicht; eher schon das anarchistische Spiel mit Lauten und Worten, das dann zu ungewöhnlichen Gedanken führt. Die Auseinandersetzung mit dem Moloch Stadt ist ein wiederkehrendes Thema. Sie reicht von Theodor Storms Husum bis zu George Grosz‘ New York. Ein naheliegendes Thema für jemanden, der den überwiegenden Teil seines Lebens zwischen Berliner Häusermauern verbracht hat und bei den gelegentlichen Reisen vom Häusermeer ans richtige Meer dann die Stille genießt.

1956 zur Welt gekommen und im Bezirk Berlin-Mitte aufgewachsen, da war das Leben in Ost wie West vom Mangel geprägt. Die Kindheitserfahrungen geben die Koordinaten für das spätere Leben: Blick auf das wesentliche, Eitelkeit und Schein werden durchschaut. Im Gegensatz zum Bruder sei er als Kind ein Stubenhocker gewesen, der gerne zeichnete und malte.  Zehn Jahre lang ging er in Wolfgang Lebers Werkstudio Grafik zum Zeichnen.  Doch nach dem Abitur drängten die Eltern darauf, einen Brotberuf zu ergreifen. Er begann 1974 eine zweijährige Schriftsetzerausbildung im Berliner Verlag am Alexanderplatz.  Die Druckformen für Zeitungen wurden dort hergestellt. Die Ausbildung fiel ihm leicht. In diese Zeit fiel der Übergang vom Buch- zum Offsetdruck. Auch wenn der Beruf des Setzers in den Druckereien seine ursprüngliche Bedeutung verlor, war die Qualifikation grundlegend für den Betrieb der Handpresse. Diese Zeit war die Basis für die spätere Gründung seines Handpressenverlages.

Nach der Lehre und dem Grundwehrdienst von 18 Monaten wollte er in Berlin-Weißensee an der Kunsthochschule Malerei studieren.  Bevorzugt wurden bei der Studienplatzvergabe berücksichtigt, wer sich für drei oder mehr Jahre zum Militärdienst verpflichte hatte.  So bekam er schon vom Pförtner den Bescheid, dass seine Bewerbung aussichtslos sei.

Unterstützung auf der Suche nach einem gestalterischen Beruf erfuhr er durch seine Mutter. Auf ihr Anraten bewarb er sich bei der Fachschule für Werbung und Gestaltung in Berlin-Schönweide.  Er bekam einen Studienplatz in der Fachrichtung Typographie. Er wollte jedoch einen eigenen Weg gehen und meinte, kein guter Gebrauchsgraphiker sein zu können.  Nach Abschluss der Ausbildung konnte er noch zwei Jahre als Assistent an der Fachschule bleiben, dann begann die Tätigkeit als freiberuflicher Maler und Graphiker. Den Lebensunterhalt verdiente er mit typographischen Aufträgen für verschiedene Verlage (Aufbau, Akademie, Dietz) sowie Arbeiten für die Graphikredaktion der Aktuellen Kamera, der Nachrichtensendung des DDR-Fernsehens.

1984 stellte er zusammen mit seiner Freundin und späteren Frau Inga einen Ausreiseantrag. Die Beschäftigung beim Fernsehen verlor er sofort, bei den o. g. Verlagen bekam er keine Aufträge mehr, seiner Kandidatur für den Verband Bildender Künstler der DDR wurde der Status Quo erteilt. Die Mitgliedschaft war existentiell; nur wer Mitglied war, bekam Aufträge und Ausstellungsmöglichkeiten. Aushilfsarbeiten in einer Galerie und Eintrittskontrolle im Deutschen Theater gaben etwas für den Lebensunterhalt.

Über 56 Tausend vorwiegend junge Leute stellten allein im Jahr 1984 einen Ausreiseantrag; in den darauffolgenden Jahren stiegen die Zahlen noch. Sicher mag es bei einem Menschen, der auf die 30 zuging, das starke Gefühl gegeben haben, dass es auch jenseits der Mauer etwas geben muss, was sehens- und erlebenswert ist. Bei Peter Rensch waren es jedoch auch ganz konkret die Gängelungen und Bevormundungen sowie die unzureichenden Arbeitsmöglichkeiten, die Künstler mit eigenen Ideen in der DDR zu erleiden hatten. Materialzuweisungen, Publikations- und Ausstellungsmöglichkeiten waren von der Willkür abhängig, was künstlerische Projekte oft sehr schnell zum Versanden brachte.

Die Ausreise nach Westberlin erfolgte 1987. In der kapitalistischen Welt ist bekanntlich jeder seines Glückes Schmied. „Einmann-Verlag sucht Mitarbeiter“, stand in einer Anzeige. Es begann die Zusammenarbeit mit Herbert Gutsch. Die Handpresse Gutsch druckte bibliophile Bücher mit Bleilettern und Originalgraphik.

Bei Herbert Gutsch lernte er 1987 Hanfried Wendland kennen. Zwei Jahre später druckte er das erste Buch für ihn: Mäusefest von Johannes Bobrowski mit Linolschnitten illustriert. Auf mehr als 40 Bücher hat es die fruchtbare Zusammenarbeit mittlerweile gebracht, meist mit mehrfarbigen Holz- oder Linolschnitten ausgestattet.

1988 erschien dann in der Handpresse Gutsch das erste eigene Buch; Kurt Schwitters – Banalitäten aus dem Chinesischen. Das Konzept war gefunden: ein Gedicht, ein Buch. Und zum ersten Mal erfuhr er in einer Art von Befreiung: dass er für das was er druckte, vervielfältigte, selbst verantwortlich war, und er musste nicht mehr wie zu DDR-Zeiten üblich beim Magistrat eine Druckgenehmigungsnummer beantragen.

Herbert Gutsch wandte sich kommerzielleren Projekte zu, bibliophile Kleinstaufträge mit der Handpresse wurden für ihn uninteressant. Und überhaupt ging es bei ihm oft nicht so sehr andante zu. Manchmal musste noch presto oder prestissimo so einiges für nächste Messe fertig werden. Die Wege trennten sich, Gutsch lagerte seine Werkstatt ein und Peter Rensch konnte sie übernehmen.  Das war 1990 der Beginn der Andante Handpresse Berlin Schöneberg, zusammen mit seiner damaligen Frau Inga. Es folgte die erste Ausstellung mit eigenen Büchern und Graphiken in der Schöneberger Galerie Gleditsch 45 und seitdem die regelmäßige Teilnahme an der Mainzer Minipressen-Messe, der Frankfurter Buchmesse, Graphikbörse in Borken, art book Berlin sowie zahlreichen Ausstellungen u. a. bei der Büchergilde Gutenberg. Für jemanden, der keiner Schule, keiner Vereinigung, keiner Richtung angehört, sind Messen und Ausstellungen der Ort, um mit dem Publikum in Kontakt zu treten. Die Präsenz dort ist kräftezehrend, aber in drei Jahrzehnten ist es Peter Rensch gelungen, sich einen Kreis von Interessenten und Käufern zu schaffen, wie das einem Galeristen wohl nie gelungen wäre.

Dann Umzug mit der Werkstatt nach Berlin-Kreuzberg. Wichtig war die Nähe zum Künstlerhaus Bethanien und der dortigen Druckwerkstatt. Herbert Gutsch hatte den Kontakt vermittelt. Unter Anleitung erlernte er dort zwei neue Berufe: den des Buch- und den des Siebdruckers. Peter Rensch  bot dann dort Kurse an, betreute zeitweise die Buchdruckwerkstatt und druckte für die Mariannenpresse.

1990, die Mauer war weg, Umzug an die Peripherie, nach Friedrichshagen, zu seiner jetzigen Frau Eva. Es ergab sich die Möglichkeit, einen Laden mit Schaufenstern am Müggelseedamm zu mieten. Dort kann man ihm bei der Arbeit zusehen, gelegentlich gibt es Lesungen und Ausstellungen.

Die Erfahrungen aus dem Studium an der Fachschule für Werbung kamen ihm später zu Gute. Von 2001 bis 2004 wirkte er als Dozent an der Best-Sabel-Schule in Berlin. Und seit 2005 an der Berliner Ostkreuz-Schule für Fotografie,

2007 Start der Reihe „Kapitälchen“, bibliophile Broschuren, fadengeheftet, mit den Originalgraphiken anderer Künstler: Thomas J. Richter, Egon Bresien, Michael Augustinski, Thomas Habedank, Petrus Akkordeon, Christian Milbrand, Ute Hausfeld, Jutta Schölzel, Katrin Stangl, Ingrid Bertel, die vorwiegend dem Berliner Umfeld entstammen. Entstanden ist ein künstlerischer Freundeskreis, in dem Peter Rensch gestalterisch und drucktechnisch berät, aber andererseits auch Anregungen vielfältigster Art aufnimmt.

Künstlerbücher für andere zu drucken, das ist mehr als Auftragsarbeit. In jedem „Kapitälchen“ sieht man die Handschrift des Druckers und Verlegers. Seine Aufgabe ist es, Text und Bild lebendig erscheinen zu lassen. In oft mehreren Andrucken wird die Farbigkeit der Grafiken erarbeitet, damit diese plastisch, lebendig und nicht etwa kalt erscheinen.

Gerade ist sein neues Buch erschienen, auch wieder nur ein kurzer lyrischer Text, der etwas aus dem Rahmen des Bisherigen zu fallen scheint. Der Liedtext „Mädchen aus Ostberlin“ von Udo Lindenberg mit mehrfarbigen, kolorierten Graphiken. Auflage 30 Exemplare im 30. Jubiläumsjahr von Andante und im 30. Jahr der deutschen Wiedervereinigung. Er erinnert sich, die ersten Zeichnungen zu diesem Lied gemacht zu haben, da war er 16 oder 17 (Mädchen hinterm Schlagbaum … Text handschriftlich), die er in seinem Zimmer an die Wand pinnte. Sein Vater war Musiker beim Zentralen Orchesters des Ministeriums des Innern der DDR. Eines Tages kam seine Mutter ins Zimmer und sagte: „Junge, nimm doch diese Zeichnungen von der Wand. Stell Dir vor, Kollegen von Deinem Vater kommen hier mal rein …“

Selbstzeugnisse von Peter Rensch:

Hanfried Wendland, Künsstlerbücher mit Original-Grafken 1980 bis 2007, Berlin, NeueKleiderDrucke, 2007, S. 31.

Wie ich zum Büchermachen kam. Ein Erlebnisbericht, in: Marginalien 204. Heft (4.2011), S. 49-55.

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